Die Listung eines Neuproduktes im Lebensmitteleinzelhandel bringt für junge Unternehmen oft hohe Einstiegshürden mit sich. Genau dieses Problem haben sich zwei Gründerinnen zum Anlass genommen und ein neues Einkaufskonzept geschaffen, in dem Start-Ups ihre Neuprodukte direkt am POS testen können: „Der Testmarkt“, ehemals KadeTe (dies führte allerdings zu Schwierigkeiten mit dem Berliner Kaufhaus KadeWe). Der Store hat vor Kurzem in den Wilmersdorfer Arcaden eröffnet und unser Advisor Sebastian Wölke hat sich das Konzept näher angeschaut. Im Interview spricht er über Insektensnacks und die Schwierigkeiten bei der Listung von Neuprodukten.
Sebastian, vor ein paar Tagen hast Du dir exklusiv für uns Den Testmarkt näher angesehen. Hast Du ein ähnliches Store-Konzept schon mal woanders gesehen?
Sebastian Wölke: Mich hat das Ganze an die Geschäfte in Großstädten erinnert, in denen Künstler kleine Regalflächen mieten können, um ihre meist handgemachten Produkte auszustellen. Die Warenpräsentation ist sehr einfach, das Ganze erinnert mehr an ein Lager oder an einen sehr schlichten Pop-up Store als ein Geschäft. Positiv gesagt stehen alleine die Produkte im Mittelpunkt.
Wie war Dein Gesamteindruck des neuen Konzepts?
Sebastian Wölke: Grundsätzlich ist Der Testmarkt ein spannendes Retail Konzept, dass aufgrund der Start-up Dichte in Berlin optimal in die Hauptstadt passt. Es ist gut für die deutsche Start-up Kultur, dass es stationäre Konzepte gibt, die jungen Marken den Weg in den Handel ebnen können. Wenn der deutsche Handel deutlich offener und kooperativer gegenüber Start-ups wäre, dann bräuchte es Den Testmarkt vielleicht gar nicht nicht. Die Listung im stationären Handel ist trotz der Bemühungen einzelner Händler für Start-ups in der Tat oft noch langwierig, bürokratisch, politisch und nicht selten auch teuer. Außerdem hat man natürlich nur sehr begrenzt Zeit, sich zu beweisen und daher kaum Möglichkeiten für Weiterentwicklungen am Produkt. Hier kann getestet werden, bis sich die Verantwortlichen den Sprung in den großen Teich zutrauen.
Wie funktioniert das Konzept genau und welche Produkte waren ausgestellt?
Sebastian Wölke: Die Idee ist, dass Kunden mit einem Produkt hier das erste Mal physisch in Berührung kommen und nicht nur als Abbildung in einem Onlineshop. Die Kunden müssen sich registrieren, wenn sie die Produkte bewerten wollen. Dann können sie direkt am Regal Feedback mit Hilfe von Post-its abgeben. Die Farben der Post-its geben per Colourcoding bereits das grundsätzliche Urteil des Kunden an und dieses reicht von „Will ich kaufen!“ bis zu „Interessiert mich nicht!“. Kaufen kann man die Produkte natürlich ohne Registrierung.
Abb. 1: Die Kunden können Neuprodukte bewerten
Welches Produkt war Dein persönlicher Favorit?
Sebastian Wölke: Das Sortiment ist natürlich bunt durchmischt. Von Premium-Eiscreme bis zum Fiebermessgerät für Kinder ist alles dabei. Dadurch wirkt das Ganze natürlich etwas chaotisch. Die beliebteste Marke ist nach Aussage des Testmarkts bisher „Wicket Cricket“, die Insektensnacks aus München. Die Variante mit Rosa Pfeffer kann ich durchaus empfehlen.
Wie ist die Beratung vor Ort?
Sebastian Wölke: Die Beratung vor Ort war sehr gut. Die beiden Gründerinnen erklärten jedem interessierten Kunden das Konzept persönlich. Ich hoffe, dass dies nicht nur daran lag, dass an diesem Tag die deutsche Welle einen TV-Beitrag vor Ort gedreht hat.
Was können Start-ups durch Den Testmarkt lernen?
Sebastian Wölke: Einige spontane Kundenfeedbacks zum Produkt mögen für die neuen Marken durchaus relevant sein. Aber, all die Feedbacks haben natürlich nur eine bedingte Aussagekraft: Die Produkte werden in einer Laborsituation getestet. So können die Kunden z.B. keinerlei Vergleich mit anderen Produkten aus der jeweiligen Kategorie ziehen. Vor allem der Preisvergleich zu anderen Produkten ist nicht möglich. Außerdem ist ein Einkaufszentrum in Berlin Wilmersdorf sicher weit davon entfernt, repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung zu sein. Zudem wissen wir, dass die Kaufentscheidungen am Regal nicht immer rational und logisch ablaufen und vielfach unbewusst Produkte anderen vorgezogen werden. Diese Mechanismen wird auch Der Testmarkt nicht transparent machen können.
Welche weiteren Entwicklungschancen siehst Du für den Testmarkt bzw. vergleichbare Modelle?
Sebastian Wölke: Eine neuheiten- und trendaffinere Zielgruppe würde man sicherlich in einer cooleren Lage in Berlin antreffen, die zur Start-up Welt passt und die eingerahmt ist von hippen Boutiquen und nicht in ein nüchternes Einkaufszentrum, mit ausschließlich Handelsketten als Nachbarn. So könnte Der Testmarkt zu einer Art Showbühne für neue Marken werden. Die Zielgruppe wäre in diesem Fall nicht repräsentativ für Deutschland, aber das ist sie jetzt auch nicht. Außerdem gibt es heute viele relativ günstige Wege für Start-ups, Marktforschung zu betreiben. Ich glaube, dass sich Der Testmarkt entscheiden muss, ob es mehr ein nüchternes offline Mafolabor sein will oder eine trendige offline Bühne für neue Start-up Marken. Gerade für Kategorien wie Beauty, Elektronik und Mode würde ich im zweiten Modell mehr Potential sehen.
Für Start-ups: Weißt Du, was man tun muss, damit sein Produkt ausgestellt wird?
Sebastian Wölke: Der Prozess wurde von den Gründerinnen als sehr unkompliziert beschrieben. Es gibt eine Art Checkliste, die auszufüllen ist und natürlich müssen die Produkte verkehrsfähig sein. Einzelne Produkte aus dem Markt sind auch bereits stationär gelistet. Hier müssen die Betreiber darauf achten, dass die Kunden verstehen, was sie erwartet und was nicht. Kunden, die vor Ort Produkte testen und bewerten werden sicherlich enttäuscht sein, wenn sie die gleichen Produkte anschließend nebenan bereits in der Drogerie finden.
Dein Fazit?
Sebastian Wölke: Innovative Retail-Konzepte wie Der Testmarkt können wichtige Impulsgeber für den Start-up Standort Deutschland sein. In der Umsetzung bleiben Fragezeichen, aber das KaDeTe wird sicherlich weiterentwickeln. Am besten wäre es, wenn mehr deutsche Einzelhändler den Einstieg von Start-ups vereinfachen und unkomplizierte Testmöglichkeiten bieten würden. Es fängt mit ganz einfachen Dingen an. Die meisten Start-ups wissen nicht einmal an wen sie sich bei einem bestimmten Händler wenden sollen und wie man in Kontakt zu einem Händler tritt. Bei innovativen Händler wie „As nature intended“ in Großbritannien werden direkt über die Frontpage der Consumer-Homepage potentielle Lieferanten angeworben. Von einer derartigen „Willkommenskultur“ Richtung Start-ups sind die meisten deutschen Händler trotz einzelner Leuchturmprojekte noch weit entfernt.
Sebastian Wölke führt seit drei Jahren sein eigenes Beratungsunternehmen kunden/impulse in London und ist Advisor von POSpulse. Vorher war er vier Jahre lang als Bereichsverantwortlicher und Sortimentsmanager bei dm tätig.
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